Baseball für Verlierer

Warum die USA ein vernetztes Problem haben, in dem Demokratieverständnis, Bildungskultur und Konkurrenzdenken einander auf negative Weise beeinflussen.

I. Sieg und Niederlage

Es gibt viele Niederlagen in einem Sieg. Verlorene Schlachten eines gewonnenen Krieges, Kollateralschäden, Materialverlust, Traumatisierungen, hohe Kosten und vieles mehr. Selbst, wenn die Waffen nicht allein das Wort haben heißt das noch lange nicht, dass eine Auseinandersetzung glimpflich für den Sieger ausgeht. In der Regel gibt es irreversible Schäden, an denen der Sieger so lange laboriert, bis er selbst den geführten Krieg, die Auseinandersetzung oder was auch immer passiert sein mag, infrage zu stellen beginnt.

Einer der prägnantesten Kriege der vergangenen Dekaden war der Kalte Krieg. Ein Kampf der weitestgehend, abgesehen von Stellvertreterkriegen, unblutig und stattdessen ideologisch geführt wurde. Eine Evolution in der Kriegführung, möchte man meinen. Es war eine offene Feindschaft, in der vergleichbar starke Kräfte einander mit Hass und einem anderen Kultur-, Ökonomie- und Politikverständnis hauptsächlich unmilitärisch angegriffen haben; unmilitärisch wohl allerdings nur deshalb, weil der Gegner gleiche Stärke hatte und allen Beteiligten die militärisch herbeigeführten Greul des zweiten Weltkriegs noch deutlich vor Augen standen.

Wenn man es vereinfachen will, war es nicht viel mehr als ein Streit. Ein Streit, in dem die Zeit den Schiedsrichter spielte und nach einigen Jahrzehnten die kapitalistische und demokratische, von den USA angeführte Koalition den längeren Atem bewies. Die autokratisch-sozialistische Seite unter Führung der Sowjetunion hatte das Nachsehen, hatte sich selbst durch Fehlleistungen und eine teilweise systemische Unterlegenheit aus dem Rennen geworfen. Die Wunden waren tief. Inzwischen sind es Narben. Verheilt sind sie auf beiden Seiten nicht.

II. Ein Problem mit Freunden

Die USA haben ein Problem. Dieses Problem macht vieles richtig, um weiterhin existieren zu können; unter anderem ist es geschickt genug konstruiert, sich Freunde zu suchen, sich zu verteilen und in den wichtigsten Institutionen und Geisteshaltungen zu etablieren und damit, gleich einer Spinne, eine Vernetzung herzustellen, die dazu führt, dass die USA fast nicht mehr ohne dieses ihnen eigene Problem denkbar sind. Den US-Amerikanern fehlte ein Stück Identität, wäre dieses Problemnetzwerk eines Tages gelöst und verschwunden.

Das Problem hat also mehrere Wohnorte. Diese müssen erst einmal beleuchtet werden, um zu qualifizieren, was genau der Fall ist:

II.1 Kapitalismus bzw. die Idee von Konkurrenz

Kapitalismus – in der Form, wie er bisher in den USA praktiziert wird – vergrößert die finanzielle Ungleichheit zwischen den Menschen. Einige wenige werden reicher, viele aber ärmer, die meisten treten höchstens auf der Stelle. Diese Tendenz zur Ausdifferenzierung ist in einem eher reineren Kapitalismus stärker ausgeprägt als in abgemilderten Varianten oder in marxistischen Wirtschaftsordnungen.

Insgesamt hat die freie Marktwirtschaft den USA Wohlstand gebracht. Die langfristige Tendenz geht deutlich nach oben; wer heute bereits als arm gilt, wäre bei gleichem Einkommen vor einigen Dekaden vielleicht der Mittelschicht zugeordnet worden. Parallel zu diesem Anstieg des Wohlstandes im Land hat sich auch die Verschuldung des Staates erhöht. Mit über 56.000 Dollar steht jeder US-Bürger als politischer Souverän durchschnittlich in der Kreide. Dagegen aufrechnen kann man die gut 260.000 Dollar, über die ein durchschnittlicher US-Bürger als Vermögen verfügt.

Jedoch verteilen sich die Staatsschulden gleichmäßig auf alle Schultern, wogegen das Vermögen sehr ungleich verteilt ist. So ist etwa jeder 60. US-Bürger Dollarmillionär (durchschnittlich 3,7 Mio. Dollar). Darunter wiederum gibt es 536 Milliardäre mit durchschnittlich 4,236 Mrd. Dollar.

Allein für diese beiden Gruppen müssen über 83 Millionen Menschen in die Statistik eingehen, die über keinen einzigen Cent verfügen. Das entspricht etwas mehr als der gegenwärtigen deutschen Bevölkerungsgröße. Der gesellschaftsökonomische Saldo dieser Menschen läge also jeweils bei minus 56.000 US-Dollar.

Darüber hinaus gibt es Erhebungen, die besagen, dass die 400 reichsten US-Amerikaner mehr besitzen als die komplette ärmere Hälfte der Bevölkerung. Das entspricht einer vermögensmathematischen Gleichung von 0,00013% der Bevölkerung = 50% der Bevölkerung.

Weiterhin lässt sich klar belegen, dass die Reichen rasant reicher und die Armen entsprechend ärmer werden: Zwischen 1983 und 2007 stieg das Nettovermögen des reichsten Prozents der Haushalte in den USA auf mehr als das Doppelte an, wogegen das der unteren 40% der Menschen um mehr als 60% schrumpfte.

Nimmt man all diese Zahlenspiele zusammen, so wird deutlich, dass Schulden aufgebaut und sozialisiert werden, wogegen immer mehr Gewinne erwirtschaftet und für sehr wenige Teilhaber privatisiert werden.

Warum ist das so?

Zugrunde liegt die Idee von Konkurrenz. Derjenige, der etwas besser kann als ein anderer, wird dafür belohnt, es besser zu können. Perfekte Konkurrenz hat man zum Beispiel im Sport: Wer die 100 Meter bei den Weltmeisterschaften am schnellsten läuft, bekommt die Goldmedaille, die Geldprämie und den Ruhm. Den Namen des letzten, der durchs Ziel läuft, wird sich kaum einer merken, auch wenn er mit seiner Leistung zu den zehn Besten der Welt gehört. Er ist unterlegen und wird daher nicht belohnt. Dieses Prinzip trägt die Marktwirtschaft in sich. The winner takes it all: Der Sieger bekommt den Löwenanteil oder gleich alles auf einmal. Der Rest der Teilnehmer geht entweder mit Trostpreisen oder ohne Anerkennung nach Hause: Dabei sein ist alles, so lautet der Wahlspruch der Verlierer.

Um diese Polarisierung des Sieg-Vorteils abzudämpfen, wird der Konkurrenzgedanke in den Marktwirtschaften vieler Ländern reguliert. Er wird abgemildert, weil er sich nicht für die Schicksale der nicht siegenden Mehrheit interessiert.

In den USA ist die Idee von Konkurrenz sehr stark ausgeprägt und kulturell seit vielen Generationen tradiert. Allgemein ist Konkurrenz positiv angesehen, sie steht in dem Ruf, das Geschäft zu beleben und zu Höchstleistungen anzutreiben. Entsprechend wird dem Konkurrenzgedanken oft Priorität eingeräumt, wenn es um Auswahlentscheidungen jeglicher Art geht. Damit geht einher, dass der Kapitalismus als Träger des Konkurrenzgedankens nur verhältnismäßig zögerlich reguliert wird.

II.2 Demokratie

Ebenso wie der Kapitalismus hat auch die Demokratie eine sehr lange Tradition in den USA. Sie gilt als zentraler Wert, der das Land geprägt hat und der stolz in diesem Sinne als Identifikationsmerkmal herausgestellt wird; ungeachtet der Tatsache, dass die US-Demokratie statisch und in ihrem faktischen Zweiparteiensystem sowohl inkonsequent als auch unauthentisch ist. Dennoch bleibt sie durch die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung stabil und übersteht auch schwere Krisen.

Die Idee der US-amerikanischen Demokratie ist klassisch aufgebaut: Jeder mündige Bürger hat eine Stimme, die er zum Wahltermin einer Partei geben kann. Auch wenn es in den USA die fragwürdige Praktik gibt, Wahlmänner mit eigener Entscheidungsbefugnis zwischen den Souverän und das Ergebnis der Wahl zu stellen, so kann man doch weitestgehend von der Entsprechung ausgehen, dass eine Person eine Stimme hat. Nicht mehr und nicht weniger.

II.3 Bildung

Bildung wird in den USA von zwei Seiten zur Verfügung gestellt: von staatlicher und von privater. Dabei kommt dem Staat vornehmlich die Aufgabe zu, die Bevölkerung in der Breite und unabhängig von der finanziellen Grundausstattung zu bilden.

Der private Bildungssektor konzentriert sich auf finanziell potente Kunden in allen Bildungsbereichen. Durch die erhobenen Gebühren können private Schulen in der Regel eine bessere Ausstattung zur Verfügung stellen als staatliche. Folglich sind sie konkurrenzfähiger. Sehr stark kommt dieser Zusammenhang in den Eliteuniversitäten zum Ausdruck, deren Ruf weltweit unbestritten gut ist und die entsprechend hohe Studiengebühren (jährlich oft weit im fünfstelligen Dollar-Bereich) verlangen, um ihrem Ruf gerecht zu werden und ihre Wettbewerbsfähigkeit auszubauen.

Eine weitere Möglichkeit als Lernender in den privaten Bildungssektor zu gelangen besteht darin, besonders gute Leistungen zu erbringen. Für Hochbegabte oder High Potentials werden zahlreiche separate Stipendien aufgelegt.

Es gibt also letztlich im US-Bildungssystem qualitative Unterschiede: Die finanziell stärkeren privaten Anbieter sind schlicht besser als die staatlichen. Darüber hinaus gibt es zwei Wege, als Bildungswilliger in den besser gestellten privaten Bildungssektor zu kommen, nämlich einerseits Geld und andererseits Leistung.

Beide – Geld und Leistung – sind der Logik von Konkurrenz unterworfen: Kann ich die geforderte Gebühr aufbringen? Kann ich soviel leisten wie die Besten?

In der Konsequenz sparen die Eltern US-amerikanischer Kinder oft von der Geburt des Kindes an Geld für dessen Ausbildung und fordern darüber hinaus in vielen Fällen bessere Leistungen von ihren Kindern ein, als sie die Vergleichsgruppe vorweisen kann.

III. Im Zentrum des Spinnennetzes

Wo in diesen Zustandsbeschreibungen steckt nun also dieses gut vernetzte Problem, von dem eingangs die Rede war?

Das Problem besteht darin, dass, wenn …

  • Kapitalismus Macht und Geld auf zunehmend weniger Menschen verteilt,
  • Demokratie dagegen von allen ausgeübt werden kann und
  • Bildungsqualität (hauptsächlich finanzieller) Konkurrenz unterworfen ist

… die Menschen mehrheitlich schlechter gebildet und unterdurchschnittlich wohlhabend sind, aber eine zunehmende demokratische Mehrheit stellen, und dass sich dieser Trend selbst verstärkt.

Mit anderen Worten: Die wenigen Wohlhabenden können sich gute (Aus-)Bildung leisten, haben aber nach wie vor exakt eine Wählerstimme. Die vielen einkommensschwachen und normalbegabten Menschen können sich in der Regel keine gute Bildung leisten, haben aber ebenso nach wie vor exakt eine Wählerstimme pro Person. Dabei bewirkt der Kapitalismus, dass die Zahl der Ärmeren steigt oder zumindest sehr hoch bleibt. Dadurch werden exzellent gebildete Menschen zur Minderheit und schlechter gebildete zur Mehrheit.

Wie aber reagiert die gut ausgebildete reiche Elite auf diesen Effekt? – Eine Elite, die sich ausdrücklich als solche erkennt und definiert, der in einer reinen Demokratie aber der politische Druck abhanden käme, weil sie einen immer kleineren Teil der Bevölkerung stellte?

Sie reagiert mit politischer, ökonomischer und publizistischer Macht: Elitengeleitete Medienkonzerne diktieren die Darstellung politischer Informationen und anderer relevanter Fakten, die sich exakt am noch nicht als zu blöd Eingestuften orientieren. Zusammenhänge werden so verdreht, dass es der bildungsschwachen Mehrheit gerade noch entgeht betrogen zu werden; Tatsachen werden unterschlagen, andere geschaffen, immer entlang der sinkenden geistigen Toleranzgrenze einer Bevölkerung, die sich Stück für Stück daran gewöhnen wird, faktisch keine meinungsfreie Öffentlichkeit mehr zu haben, sondern eine Theaterbühne, deren Spiel von ökonomischen, durch übermäßige Konkurrenz entstandenen Kräften inszeniert wird. Das Stück, das gespielt wird, ist immer dasselbe: moderne Demokratie auf großer Fahrt, der Wind in den Segeln ist die Ökonomie, das Banner die eigne Kultur. Dass die Darsteller nur für Gage und Applaus spielen, dass die Regisseure und Dramaturgen gar nicht so viel anders agieren als Despoten, die ihr Theater nicht Theater sondern Welt nennen – das bleibt außen vor, wenn der große rote Vorhang aufgeht.

Auf diese Art weichen demokratische Ideale auf, werden Vernunft und Mitgefühl für billige, gewinnmaximierende Parolen über Bord geworfen, die sich lediglich dadurch auszeichnen, besonders laut zu sein und ebenjenes religiöse Mantra des Patriotismus- und Demokratieideals für sich in Anspruch zu nehmen, von dem die Amerikaner meinen, es zeichne sie vor der ganzen Welt aus. Es werden diejenigen als unpatriotisch, unamerikanisch oder gar sozialistisch gebrandmarkt und ausgeschlossen, die in der Gegenrichtung der Einbahnstraße einer elitengesteuerten Massenmedien-Meinung unterwegs sind. Dabei liegt die Zielsetzung der Eliten, die sich durch ihre Ausbildung und vor allem durch ihre kompetitive Attitüde und ihren monetären Erfolg erst zur Elite zählen können, vor allem in der Ausweitung ihrer Kernstärke: der ökonomischen. Für die Starken einer Gesellschaft ist es ebenso leicht, mehr Konkurrenz zu fordern, wie es für den Sprint-Weltmeister leicht wäre, eine Amateurgruppe zu einem Rennen mit einem Einsatz von einigen hundert Dollar je Starter herauszufordern, wenn für den Sieger gilt, was bei deregulierter Konkurrenz immer gilt: The winner takes it all.

Führt man diese hohe Bildungs- und Finanzkraftkorrelation über einen langen Zeitraum fort – über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte – so entsteht eine kaum mehr durchlässige Zweiklassengesellschaft, in der Leistung die einzige Aufstiegschance bildet – sei es im Bereich der (Aus-)Bildung an den (Hoch-)Schulen oder in der Wirtschaft.

Eine Demokratie aber braucht eine tiefe und breite Bildung in der Gesellschaft, da sie den Anspruch an ihre Wähler hat, die wichtigsten Entscheidungen im Lande kompetent und eigenständig zu treffen.

IV. Aus der Sicht einer Fliege

Was tut man also, wenn man in diesem System aufwächst, das nur wirtschaftliche oder akademische Höchstleistungen anerkennt, und alles sonst einem schleichenden Niedergang zugunsten der Erfolgreicheren überlässt? Natürlich: man kämpft.

Hat man allerdings erst einmal begriffen, dass man nicht zu den Wenigen gehört, die in vorderster Reihe stehen und also profitieren werden, so wendet sich das Blatt. Deshalb ist es in den USA so wichtig, den Mythos zu erhalten, man könne es – ein Gähnen drängt sich auf – vom Tellerwäscher zum Millionär bringen; durch Leistung wohlgemerkt. Ohne diesen einsamen gemeinsamen Glauben, diesen Zusammenhalt im Egoismus, ohne diesen kollektiven Individualismus, dieses religiöse Mantra flöge die Motivation der Verlierer auseinander wie eine Holzhütte im Hurrikane.

Diejenigen, die sich offen als Verlierer fühlen, werden resignieren oder anders zu kämpfen beginnen; außerhalb des anerkannten Regelwerks der erwünschten Leistungen. Ihnen gehört entweder das bitterste Ende oder aber die Zukunft. Diejenigen, die sich nicht als Verlierer fühlen wollen, obwohl sie zur Mehrheit der Nichtsieger gehören, werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach zurückziehen und fernsehen oder ihr Spiegelbild im warmen Schoß der breiten Masse suchen, um trotz ihres Versagens Zugehörigkeit herzustellen; sie werden also vielleicht zu einem Baseballspiel gehen – ein gutes Beispiel für einen kompetitiven Sport, wie der Wikipedia-Eintrag zum Begriff „competition“ nahelegt.

V. Aus der Sicht eines Spatzen

Nicht in der Maschinerie einer Kultur zu stecken erlaubt oft tiefere Einblicke, als die, die man aus der Nähe, aus der internen Sicht bekommt. Betrachtet man die USA von außen und hat man erst einmal die Interdependenz zwischen der Idee von Konkurrenz, der Demokratie und dem Einfluss eines kompetitiven Bildungssystems auf die Gesellschaft verstanden, so sieht man vieles in einem neuen Licht.

Das politische Niveau erklärt sich auf diese Weise in schlichter Direktheit. Es wird klar, dass in einem wohlhabenden Land, in dem die Mehrheit im Vergleich mit anderen westlichen Staaten unterdurchschnittlich gebildet ist, auch ein Hang zur konservativen Dramatisierung der Zustände honoriert wird. Waffenbesitz als Substitut für Macht außerhalb des Leistungsprinzips wird ebenso nachvollziehbar wie die Ablehnung einer Krankenversicherung für Kranke und Schwache – schließlich ist die Mehrheit schwach, glaubt aber an die Tellerwäscher-Religion, also an den eigenen Aufstieg, und ist durch Konkurrenzzwänge und -denken auf individuelle Vorteile bedacht, statt soziale Empathie entwickeln zu können. Überhaupt steht das Soziale immer in dem schlechten Ruf, auch gleich sozialistisch zu sein. Ein Verdacht wird dabei meist dann schon geäußert, wenn von tatsächlichem Sozialismus noch überhaupt keine Rede sein kann. Dieser festsitzende Reflex verhindert jedes politisch geäußerte Mitgefühl mit dem Verweis auf die dunkle Macht, auf die schwarze Magie des Marxismus, der spätestens seit den Jahrzehnten des Kalten Krieges als Antipode der US-amerikanischen Identität und daher ebenfalls als „unamerikanisch“ angesehen wird. Alles, was im Sozialismus-Verdacht steht ist tabuisiert und nicht mehrheitsfähig. Der Sozialismusvorwurf ist ein Totschlagargument, er ist eine der schmerzhaften Narben aus dem Sieg im Kalten Krieg, die die USA davongetragen haben.

Dieser Reflex kombiniert mit der Bildungsschwäche speziell in der Breite der Bevölkerung führt dazu, dass es Ideen und Lösungen, die zugleich pragmatisch, intelligent und menschlich sind, im demokratischen Prozess der USA schwerer haben, als plakative, US-zentrische und konkurrenzorientierte. Entsprechend sind – ungeachtet mangelnder Kompetenz – sogar extrem rechte Gruppierungen der rechten Partei erfolgreich, ohne politische Lösungen vorweisen zu können, die auch nur ansatzweise nachvollziehbar oder ohne massiven Schaden durchsetzbar wären – Gruppierungen, die die gängigen Attribute wie Kapitalismus, Freiheit (fälschlich als Demokratieersatz gehandelt) und Religiosität vor sich hertragen. Es siegt der pure Populismus auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Diese ideologische Verengung auf die echte Demokratie, den echten Kapitalismus, den echten Amerikanismus verschließt die Augen vor möglichen Verbesserungen, da diese als Abweichungen von der reinen Lehre und daher als unamerikanisch bzw. als Verrat angesehen werden. (Allein Kategorien wie „Verrat“ und „unamerikanisch“ zeugen vom Niveau der Debatten.) Stattdessen werden abgedroschene Wertehülsen zu Tode kultiviert und lediglich dadurch erneuert, dass sie angepasst, also zeitgenössisch und wirtschaftsfreundlich, vorgetragen werden. Hier findet dann das reine Entertainment seine Bühne: Funktion tritt zugunsten von Form in den Hintergrund, Inhalte verschwinden hinter Personen und Slogans, Symbolik determiniert Tatsachen.

Eine weitere Facette der mangelhaften Bildung des US-Normalbürgers und der entsprechenden Tendenz zur intellektuellen Schrumpfung der Öffentlichkeit findet sich im gesellschaftlichen Verhältnis zur Religion. Waren die Gründerväter der USA noch dezidiert religionskritisch, so sind selbst die heutigen Eliten in ihrer Zeit verhaftet und biedern sich beim Publikum an, indem sie meist christlichen Sekten ihre Mitgliedschaft und Unterstützung zusichern. Heutzutage kann faktisch niemand mehr ins höchste Staatsamt der USA gewählt werden ohne einer mehrheitsfähigen christlichen Gruppierung anzugehören. Diese Rückbesinnung auf präaufgeklärte Zeiten kommt dabei auch der Bildung und Wissenschaft in die Quere, zum Beispiel wenn Darwins Evolutionstheorie an den Schulen durch die christliche Schöpfungsgeschichte ersetzt wird.

Die Tendenz zur Priorisierung des Glaubens über das Wissen und der Religiosität über die Bildung befeuert und charakterisiert dabei das sinkende Niveau gesellschaftlicher Debatten und Konsense.

VI. Siegerlagen

Die USA haben es über Jahrzehnte, vielleicht sogar über Jahrhunderte hinweg versäumt, ihre Bevölkerung nachhaltig und in der Breite so zu bilden, dass sie langfristig den Herausforderungen gewachsen wäre, die eine demokratische Grundordnung an mündige, entscheidungsbefugte Bürger stellt. Einer der Hauptgründe hierfür liegt in der Vorrangigkeit des Konkurrenzprinzips vor allem im Bildungssystem – ein Mechanismus, der Menschen, die nicht überdurchschnittlich begabt oder reich sind, den Zugang zu breiter und hoher Bildung erschwert oder gar verweigert. Aber auch die ideologische Verengung auf den verhältnismäßig frei agierenden Kapitalismus, eine weitgehend einseitig instrumentalisierte Medienmacht sowie eine Rückbesinnung auf die Religion zeichnen das Bild eines intellektuellen Niedergangs. US-historisch erklärbare, aber dennoch weltgeschichtsblinde Haltungen zum Krieg und zu Waffen im Allgemeinen sind dabei ebenso von Nachteil wie der zwanghafte Wille zu einer Weltmachtposition; ungeachtet zahlreicher Exzesse und Niederlagen in dieser Rolle.

Nichtsdestotrotz muss man den USA eine erstaunliche Wandlungs- und Regenerationsfähigkeit zusprechen. Nach den katastrophalen Bush-Jahren zu Beginn des Jahrhunderts schaffte man die Wende hin zu Obama, dem vielleicht bestmöglichen Präsidenten unter den gegebenen Umständen; sowohl aus US-, als auch aus Weltsicht. Diesem allerdings, auch das gehört zur Wandlungsfähigkeit des US-amerikanischen Systems, folgte mit Donald Trump ein unberechenbarer Narziss, ein Rassist und Sexist, der direkt aus der Wirtschaft, also aus der Herzkammer der Konkurrenz in die Politik eintrat und das Politische im Sinne einer Machtmaximierung schon vor seinem Amtsantritt geradezu pornografisierte.

Und so bleibt vorerst offen, wie lange sich das Amerika Obamas mit seiner Beschwörung großer Ideale durchsetzen kann, so wie er sie am Wahlabend 2008 unter tosendem Applaus zelebrierte, oder ob das Amerika Trumps diese Competition gewinnen wird, der dieselben Sätze 2016 hätte wiederholen können, auch wenn er etwas ganz anderes darunter verstanden hätte:

“If there is anyone out there who still doubts that America is a place where all things are possible, who still wonders if the dream of our founders is alive in our time, who still questions the power of our democracy, tonight is your answer.”

Quellen:

http://www.usdebtclock.org/

http://en.wikipedia.org/wiki/National_wealth#Statistics

http://en.wikipedia.org/wiki/Millionaire#Number_of_millionaires_by_country

http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_the_number_of_US_dollar_billionaires#List_of_countries_with_10_or_more_billionaires_in_2015

http://www.nytimes.com/books/first/s/stanley-millionaire.html

http://www.forbes.com/sites/edwindurgy/2013/03/13/average-billionaire-net-worth-by-country-full-list/

http://money.cnn.com/2010/09/22/news/companies/forbes_400/index.htm

http://web.archive.org/web/20110309211959/http://www.michaelmoore.com/words/must-read/forbes-400-vs-everybody-else

http://www.levyinstitute.org/pubs/wp_589.pdf